Krampf by Emma-Louise From the gallery No_Pierdo_Nada

aus "mein Leben neben mir"

Sollte mich irgendwann mal ein schlauer Psychoanalyti­ker, dem es an freiwilligen Patienten mangelt, fragen, ob in meiner Kindheit möglicherweise bei mir ein ADS-Syndrom vorgelegen haben könnte, werde ich ohne lange nachzudenken mit einem eindeutigen „ja“ antworten.

Als abgebrochene Psychologiestudentin im fünften Semester behaupte ich nämlich, der Begriff der ADS-Störung hat den ursprünglich gebrauchten Begriff der Hyperaktivitätsstörung als völlig paradoxes rhetorisches Stilmittel und in erkennbar euphemistischer Absicht ersetzt. Das Wort Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom erklärt sich ohne Umschweife von ganz alleine, wird aber für gewöhnlich verwendet, um klar zu stellen, der Betroffene kann seine Aufmerksamkeit nicht fokussieren.

Es ließe sich aber in meinem Fall auch so ausdrücken, dass die Aufmerksamkeit, die ich in meiner Kindheit erhalten habe, defizitär war und sich in Folge ein Syndrom entwickelt hat, also eine Ansammlung mehrerer Symptome, deren Pathogenese eine umfangreiche empirische Untersuchung erforderte (oder nach Ansicht des Psychoanalytikers vermutlich eher eine lebenslange Behandlung). Mir ist das gleichgültig, denn wir kommen gut aus, die ADS-Störung und ich.

Wer Störungen hat, die nicht abzustellen sind, sollte versuchen, das Beste daraus zu machen und die Störung liebevoll annehmen, anstatt sie sich einfach wegzudenken oder sie in bösartiger Manier zu ignorieren. Störungen mögen es nicht, in irgendwelche wenig gebrauchten Gehirnwindungen abgeschoben zu werden.

Sie machen sich dann im Schlaf bemerkbar und erschei­nen (zum Beispiel) als Geisterwesen, die einen in Angst und Schrecken versetzen können und einen erheblichen Teil der Nachtruhe kosten mit Augenringen und anschließendem Alkoholabusus und allem, was sonst noch dazu gehört.

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