Therapeut:
Ich weiß immer noch nicht, warum Sie zu mir gekommen sind.
Petra:
Wie wäre es mit temporärer Unzufriedenheit?
Therapeut:
Sie haben mir Ihr halbes Leben erzählt, in sehr beliebiger Reihenfolge, wenn ich das anmerken darf.
Petra:
Ich überfordere Sie also?
Therapeut:
Mich überfordert Ihre außergewöhnlich hohe Sprechgeschwindigkeit.
Petra:
Ich passe meine Sprechgeschwindigkeit gerne Ihrer Schreibgeschwindigkeit an, wenn es Ihnen hilft.
Therapeut:
Ich verstehe nicht ganz, was Sie mir sagen wollen.
Petra:
Könnte das nicht das Problem sein? Im Grunde geht es mir auch wieder besser. Vielleicht verzichten wir auf eine Fortsetzung?
Therapeut:
Ich habe nicht ausdrücken wollen, dass ich Sie nicht für behandlungsbedürftig halte. Ganz und gar nicht. Aber darf ich Ihnen sagen, dass mir Ihre Symbolik nicht zugänglich ist? Wenn Sie angeben, sich wie ein Kapitän auf der Titanic zu fühlen, der auf einen Eisberg zusteuert, während er die Bremse nicht findet, ist mir nicht klar, was Sie mir damit mitteilen wollen.
Petra:
Sie haben aber schon von der Titanic gehört?
Therapeut:
Also, was kann ich für Sie tun, Frau Müller?
Petra:
Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sie mir geben können, was ich brauche.
Therapeut:
Nun. Was brauchen Sie? Was erwarten Sie?
Petra:
Was jeder braucht. Vermutlich sogar Sie, obwohl ich mir da nicht so sicher bin. Anerkennung, Liebe, Verständnis. Etwas in der Art. Aber bevor Sie sich Sorgen machen, darf ich Ihnen verraten, dass ich möglicherweise bereits bald auf Ihre Dienstleistung werde verzichten können.
Therapeut:
Sie haben im Lotto gewonnen?
Petra:
Die Frage erscheint mir in diesem Zusammenhang ein wenig unscharf. Vielleicht helfen Sie mir auf die Sprünge?
Therapeut:
Sie steht in keinem direkten Zusammenhang, aber da wir in Rätseln sprechen, können wir von mir aus gerne dabei bleiben.
Petra:
Auf der anderen Seite könnte es wiederum sein, dass ich Sie doch noch brauchen kann.
Therapeut:
Nicht, dass wir uns missverstehen. Sie haben mich nicht engagiert. Folglich können Sie mich auch nicht entlassen. Unsere Zusammenarbeit beruht auf einer Freiwilligkeit. Übrigens von beiden Seiten, wobei ich die Freiwilligkeit auch auf meiner Seite in diesem besonderen Fall deutlich betonen möchte.
Petra:
Und Sie sollten bemerkt haben, dass ich mir aktuell überlege, ob ich mich an Sie binden möchte, wobei ich Sie bitte, das Wort Bindung lediglich symbolisch zu betrachten.
Therapeut:
Meine Enttäuschung ist Ihnen gewiss. Ich kann mir offen gesagt nicht vorstellen, dass wir zu einer guten und sinnvollen Zusammenarbeit kommen, bin aber gerne bereit, Ihnen eine Empfehlung für einen Kollegen zu geben. Oder wie wäre es mit einer Frau?
Petra:
Sie glauben, eine Frau wäre eher in der Lage, meine verkorksten Gedankengänge nachzuvollziehen? Sie wollen mich also loswerden! Ich nenne das unterlassene Hilfeleistung.
Therapeut:
Und ich zitiere aus dem Strafgesetzbuch. Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Unglücksfall, Gefahr und Not sind in diesem Text die Schlüsselwörter.
Petra:
Erstaunlich, dass Sie das auswendig beherrschen. Wie oft haben Sie das schon einem Hilfebedürftigen um die Ohren geschlagen?
Therapeut:
Ich habe Ihre Hilfebedürftigkeit noch nicht ganz erkannt, um der Wahrheit Genüge zu tun.
Petra:
Ich bin aber in Not.
Therapeut:
In der Trotzphase stecken geblieben. Nächste Woche zur gleichen Zeit, Frau Müller?
Petra:
Mit lieb gewonnen Gewohnheiten soll man nicht brechen.
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