aus "Anne lebt ohne Prinz"

Anne im Büro in Unterhaltung mit einem Arbeitslosen und ewigem Mathematikstudenten, fast vierzig Jahre alt, arbeitet jetzt als Eineurosklave bei den Diakonischen Wirtschaftsbetrieben in einer offenen Halle und hortet und richtet und lagert und verkauft, was bei den Diakonischen so landet an gebrauchten Klamotten, die zu gut für den Abfall sind, aber noch gut genug für wen auch immer.

Der Mathematikstudent würde allerdings lieber zu Hause bleiben, mag die Diakonie nicht, mag die gebrauchten Klamotten nicht, schert sich überhaupt nicht um Klamotten, nicht um das Horten, Richten, Lagern und Verkaufen und auch nicht um Wäsche überhaupt. Da hilft auch kein halboffenes Bürofenster im Herbst.

Der Mathematikstudent würde lieber weiter in stiller Kammer an einem unlösbaren Problem der Infinitesimalrechnung herum laborieren. Der Lösung ist er schon ganz nah. Stapelt seine handschriftlichen Berechnungen unter einer Plane in seinem kleinen Zimmerchen einer Zweier-WG.

Und irgendwann kommt die Stunde, in der er seine wissenschaftlichen Erkenntnisse veröffentlichen, sie unter der Plane, die mittlerweile vor Dreck verkrustet ist wie seine Fingernägel, hervor ziehen wird ins Licht der Öffentlichkeit.

Voilà.

Wäre er nur nicht bei den Diakonischen Wirtschaftsbetrieben, um seine Zeit zu vergeuden und nebenbei zu erfrieren.

Menschen auf dem zweiten Arbeitsmarkt haben keinen Anspruch auf einen beheizten Arbeitsplatz,
sagt der Mathematikstudent.

Im Büro von Anne dagegen ist es warm, eher heiß. 27 Grad im Minimum, vielleicht auch mehr. Das liegt daran, dass die Heizung entweder zu warm oder zu kalt ist. Auf vier heiß, auf drei kalt. Regulierung nicht möglich.

Der Arbeitslose hat rote Hände, die er zum Beweis über den Schreibtisch streckt. Der Mathematikler in spe oder nie, mag Wärme. Heute mag er ausnahmsweise auch Anne. Beide lachen gemeinsam darüber, dass arbeitslose Hartz-4-ler für einen Hungerlohn arbeiten und gleichzeitig frieren müssen auf kaltem Betonboden mit offenen oder keinen Türen.

Wer namenlos ist in der Solidargemeinschaft, verdient keinen Komfort, noch nicht einmal ein bisschen Wärme im Schnäppchenmarkt bei den Diakonischen Wirtschaftsbetrieben. Hat jemand behauptet, die Heiligen hätten ein Herz?

Anne fragt den Hartzler, ob er sein Leben nicht verändern möchte. Sie kennt die Antwort. Will er nicht. Da bleibt nur ein herzlicher Glückwunsch. Der Arbeitslose geht.

Comments 2

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7 years ago
Ein großartiges Bild von Dir. Ich mag dieses Lauernde und Düstere sehr!!
[gone] User_100187
7 years ago
fest im sitz! ha, das ist eine tolle kooperation, mehr davon!

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