George Orwell und Windows 10 162

2 months ago
Weil Sonntag ist:

KogniHome


Donnerstag Morgen, 8.20 Uhr. Ich bin wieder einmal der Letzte im Haus. Jetzt muss es schnell gehen, wenn ich nicht zu spät ins Büro kommen möchte. Ich ziehe den Mantel an, ein letzter Blick in den Spiegel, die Frisur ist in Ordnung, die Hand liegt bereits am Türgriff. Was ich nicht ahne: vor Monaten schon hat sich ein Hacker gegen Bezahlung für eine internationale Einbrecher-Bande in mein KogniHome gehackt. Die im Spiegel integrierte Bilderfassung meldet einer ausgeklügelten Überwachungssoftware, daß ich im Begriff bin, mein Haus zu verlassen.

Plötzlich meldet sich der Garderobenspiegel zu Wort. Er hat den Wetterbericht gecheckt, registriert, daß ich keinen Regenschirm dabei habe, und genau darauf weist er mich jetzt hin. Alle Versuche seit der Installation des Systems, dem Spiegel klar zu machen, daß ich weder Regenschirme benutze noch überhaupt einen besitze, waren vergeblich. Auch die vollmaschinelle Hotline konnte nicht helfen.

Zwei Sekunden später sagt mir das Haus, daß ich alle Fenster geschlossen habe und die Kellertür verriegelt ist. Das ist glatt gelogen, denn dank des Hackers hat die schon erwähnte Einbrecher-Bande das KogniHome so manipuliert, daß es eine Minute nachdem ich die Haustür hinter mir abschließe, die Kellertür entriegelt und die Fenster im Erdgeschoss einen Spalt weit öffnet, so daß die Einbrecher problemlosen Zugang haben. Fünf Minuten später wird dann auch noch die Haustür entsprechend geöffnet.

Dafür hat KogniHome mir inzwischen die Autotür geöffnet und die Klimaanlage auf Wunschtemperatur gestellt. Was ich nicht ahne: mit Hilfe eines anderen Hackers hat die besagte Einbrecher-Bande längst die totale Kontrolle über mein Auto übernommen, ohne daß ich davon irgendetwas bemerken kann. Den diesbezüglichen Zugang haben die Einbrecher an eine befreundete Bande verkauft, die mit gestohlenen Autos eines bestimmten Typs handelt. Ich ahne nicht, daß heute der große Tag sein wird.

Kurz vor der Kreuzung, an der ich zu meinem Arbeitsplatz abbiegen muss, übernimmt die Fernsteuerung das Kommando über das Auto. Ich kann weder lenken noch bremsen noch den Motor ausschalten. Mein Auto fährt mich zu einer abgelegenen Kiesgrube, wo mich die Autodiebe schon erwarten. Sie nehmen mir das Auto ab, sämtliche Bank- und Zugangskarten, räumen meine Konten leer - dumm, daß KogniHome auch meine Bankgeschäfte mit verwaltet, aber das war eine Forderung der Hypothekenbank, die auf diese Weise aufpassen möchte, daß ich die hoch beliehene Immobilie auch pfleglich behandle.

Immerhin lassen mich die Gangster am Leben, vermisst werde ich zunächst mal nicht, denn die Gangster haben den elektronischen Zugang zum Zeiterfassungssystem meines Arbeitgebers genutzt, um mich dort krank zu melden. Als ich gegen Abend schließlich von zwei freundlichen Polizeibeamten zu Hause abgesetzt werde, nachdem ich vier Stunden von der Kiesgrube in die Stadt gelaufen bin - »Busfahrten leider nur mit ÖPNV-Card«, aber die haben inzwischen auch die Gangster - raunen die Polizisten etwas von »Ach je, KogniHome«, und begleiten mich sicherheitshalber in mein trautes Heim.

Das ist komplett leergeräumt, nicht mal mehr ein Bett habe ich. Daß die Einbrecher auch die sündteure KogniHome-Anlage demontiert und mitgenommen haben, erscheint mir komischerweise als der geringste Verlust.

Dann erwache ich schweißgebadet aus meinem Albtraum.

Während der Puls langsam wieder unter 120 sinkt, denke ich beruhigt an mein vollkommen unvernetztes Auto. Die Vernetzungstechnik komplett lahmzulegen ist zwar eigentlich illegal, und vor jeder TÜV-Untersuchung muß man alles wieder installieren. Meine Versicherung und die zuständigen Behörden bekommen statt der realen Fahr- und Positionsdaten ein von einem auf einem alten Smartphone laufenden Freeware-Programm generiertes Fahr-Profil, das nichts mit meinem tatsächlichen Leben zu tun hat. Aber wen geht's eigentlich was an, wo und wann und wie ich fahre?

Mein Haus-IT-System kann mit Sicherheit von keinem Hacker geknackt werden - weil ich keines habe. Stattdessen habe ich solide Riegel für Türen und Fenster, und neulich las ich, daß die Zahl der Einbrecher, die noch nicht-digital einbrechen können, immer geringer wird. Ich gucke halt, bevor ich das Haus verlasse, ob alles zu ist.

Und wenn es regnet, dann regnet es eben. Manchmal habe ich eine Mütze dabei, manchmal auch nicht. Ich brauche keinen Spiegel, der mich an einen Regenschirm erinnert. Ich bin Norddeutscher. Erstens brauchen wir keine Regenschirme, wir sind wasserdicht, und zweitens kann man die bei dem Wind hier sowieso kaum gebrauchen.

©2022 Tom Rohwer

(Inspiriert von einem Bericht in der FAZ über die tolle Zukunft mit dem »SmartHome«.)
#161Report
Tom Rohwer
Zu #161 ;-)
Ja so wird es kommen ... ... ...

Wir sind viel zu abhängig von dem ganzen digitalem Mist geworden!!
#162Report

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